© TMB-Fotoarchiv / Steffen Lehmann

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auf eine Reise in das Oderbruch

Im Winter hütet der Flussgott Gänse

Episode 10 der Reise durch die Kulturerbe-Orte

01. Februar 2022

Die Landschaft entlang der Oder spielt im Winter ihre ganz besonderen Reize aus. Das Land wirkt noch weiter, noch karger und noch unbewohnter. Liegt auf den nackten Feldern zudem Schnee, verschmilzt die Weite mit dem Himmel und der Horizont verschwimmt. Nach einer längeren Periode frostiger Nächte und Tage bildet sich an der Flusssohle der Oder Eis. Steigen die Eisschollen zur Wasseroberfläche auf, bieten sie ein besonderes Naturschauspiel. Sich im Kreis drehend tanzen die „Brieger Gänse“ stromabwärts. Stromab aus dem Schlesischen kam wohl auch der Name der runden Eisschollen. Geprägt wurde er in der alten deutschen Oderstadt Brieg, die heute den polnischen Namen Brzeg trägt. Das winterliche Schauspiel lässt sich gut am Fähranleger in Güstebieser Loose beobachten. Dort, wo Viadrus über der Szene thront und dem Knacken und Knarzen der sich aneinander reibenden Eisschollen lauscht. Im Sommer hingegen wacht der rote Flussgott über der Oder-Fähre „Bez Granic“, die über den Grenzfluss ins polnische Goszdowice (deutsch Güstebiese) pendelt. Die Idee zu dieser mythologischen Figur geht auf eine Initiative des Bad Freienwalder Augenarztes Ernst-Otto Denk zurück. Als Kulturerbe-Ort wurde der Wächter über den Strom 2018 ausgewiesen.

Darstellung des Flussgotes Viadrus an der Oder© Oderbruch Museum / Michael Anker

Seit 2009 steht die drei Meter hohe und fünf Meter breite, von Bildhauer Horst Engelhardt entworfene, Stahlblechskulptur an der Oder. Ursprünglich sollten dem Flussgott zwei Frauen zur Seite stehen, eine gelbe Oderfürstin auf der polnischen Seite der Fähre und eine blaue Odernixe an der Kreuzung zwischen Neulewin und Altlewin. Von diesem mythologischen Trio ist nur Viadrus realisiert worden. Die Aufstellung im Überflutungsgebiet der Oder wurde von einigen bürokratischen Hürden begleitet, erzählt Heimatforscher Ernst-Otto Denk. Nach den ersten Ideen sollte die Skulptur scherenschnittartig auf der Oderwiese stehen und somit den jahreszeitlichen Hochwassern ausgesetzt sein. Es folgte der amtsseitige Vorschlag Viadrus auf den vorhandenen kleinen Hügel zu stellen. Horst Engelhardt legte noch einmal Hand an seinen Entwurf und stabilisierte ihn mit einer Querfigur. In der Oderberger Stahlbau GmbH wurden die zwei Teile aus 15 mm dickem Schiffsstahl herausgeschnitten und per Schiff zur Anlegestelle Güstebieser Loose transportiert. Mithilfe eines Krans steckte man dort die beiden „Scherenschnitte“ ineinander.

Oderfähre Bez Granic© Museum Oderbruch / Michael Anker

Wie kam der Flussgott zu seinem Namen? Ob die Oder vormals als Viadrus bezeichnet wurde, war im Laufe der Zeit unter Historikern immer wieder umstritten. Sowohl Viadus fl. als auch Odera fl. bezeichnen den Lauf der Oder auf Karten aus dem 16. Jahrhundert. Seinen ältesten Beleg für diesen Namen erhielt Ernst-Otto Denk überraschend von einer altehrwürdigen Institution. Als er im Archiv des Vatikans anfragte, ob die Bezeichnung Viadrus bekannt sei, bekam er die Kopie einer Karte von 1478 zugeschickt. Auch sie nennt den Fluss bereits Viadus fl.. Der Hobbyhistoriker hat sich über Jahrzehnte mit der Geschichte des Flusses beschäftigt und sich mit Historikern wie Professor Ludwig Braun in Frankfurt/Main vernetzt. Dieser half ihm unter anderem bei der Übersetzung historischer Quellen. Auch der aus einer Oderberger Mediziner-Dynastie entstammende Professor Ludwig Kempe, der als berühmter Neurochirurg in den USA lebt, half Ernst-Otto Denk bei seinen Recherchen. Er fragte in der Amerikanischen Nationalbibliothek an, ob es zu Viadrus Unterlagen gäbe. Leider ohne Erfolg, es fand sich kein Eintrag. Gute Beziehungen pflegt der Heimatforscher zur Universität in Breslau. Dort ging er weiteren Hinweisen auf den Namen nach. Im ehemaligen Jesuitenkolleg in Breslau zum Beispiel gibt es zwei Kunstwerke mit Viadruspersonifikationen. Und selbst die Universität zu Frankfurt/Oder trägt den Begriff in ihrem Namen. Schon vor hunderten Jahren hieß sie Alma Mater Viadrina.

Heute symbolisiert Gott Viadrus den Fluss als verbindendes Element einer europäischen Landesgrenze. Der Fähranleger zum Übertritt über den Fluss scheint ein gut gewählter Platz für seinen Standort zu sein.

Kulturerbe-Ort: Flussgott Viadrus, An der Fähre Güstebieser Loose, Fährstraße, L34, 16259 Neulewin OT Güstebieser Loose

Weitere Informationen über das Oderbruch Museum und das Kulturerbe im Oderbruch finden Sie hier.

Fachwerk soweit das Auge reicht

Neulietzegöricke, für Fremde ein wunderlicher Name. Die Oderbrücher nennen das älteste Kolonistendorf des Oderbruchs meistens kurz „Lietze“. Neulietzegöricke ist seit 2018 einer der ersten ausgewiesenen Kulturerbe-Orte. Fremde und Heimische sind sich darin einig, dass es wohl eines der schönsten Dörfer im Bruch ist. Immerhin stehen dort die meisten denkmalgeschützten Fachwerkhäuser dieser Flusslandschaft.

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Heimatliebe und Geschichtsbewusstsein

Direkt entlang der Oder entlang verläuft zudem der 630 Kilometer lange Neiße-Oder-Radweg. Ein Fernradweg, der von der Quelle der Lausitzer Neiße in Tschechien bis an die Ostsee reicht. Er führt direkt durch Kienitz, einem erst kürzlich ausgewiesenen Kulturerbe-Ort.

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Seenlandentdecker Michael

freiberuflicher Fotograf und Texter

In meiner Kindheit verbrachte ich viele glückliche Sommer bei meinen Großeltern im Oderbruch. Die Landschaft mit ihrem weiten Blick, die Ruhe und die Faszination des großen Flusses haben mich seitdem nicht mehr losgelassen. Derzeit bin auf der Suche nach den Spuren kulturellen Erbes der Menschen entlang der Oder.

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